1. Einleitung

Das Thema Industrie 4.0 wird vielfach mit der Fertigungsindustrie in Verbindung gebracht. Doch Digitalisierung, Vernetzung, Big Data und künstliche Intelligenz (KI) haben auch für die Prozessindustrie als dem drittgrößten und forschungsintensivsten Industriezweig [1]  in Deutschland eine beträchtliche Bedeutung [2]. Die Prozessindustrie – das sind die produzierenden Unternehmen in den Sektoren Chemie, Pharma, Life Sciences und Lebensmittel – kann zwar bei der Digitalisierung auf Ergebnisse der Fertigungsindustrie aufsetzen, hat aber darüber hinaus vielfältige spezifische Herausforderungen. Diese liegen in den langen und aufwendigen Produkt- und Prozessentwicklungen, der kontinuierlichen Optimierung und Erweiterung bestehender Anlagen mit Produktwechseln und schließlich der Tatsache, dass keine klar definierten Bauteile produziert werden, sondern Fluide und Feststoffe mit schwankenden Eigenschaften und zum Teil hohem Gefahrenpotential.

Mit der Digitalisierung zeichnen sich sowohl neue technische Möglichkeiten zur Bewältigung der Herausforderungen als auch neue Geschäftsmodelle ab. So unterstützt einerseits die Digitalisierung der Prozessindustrie die sichere und effiziente Herstellung international wettbewerbsfähiger Produkte. Andererseits bietet sie vor dem Hintergrund neuer Werkzeuge, Methoden und Möglichkeiten der Vernetzung und intelligenten Automatisierung auch für Geräte- und Softwarelieferanten die Möglichkeit, produktionstech¬nisches Know-how in Form von Mess- und Regeltechnik weltweit zu exportieren. Beides trägt zu einem enormen regionalen Standortvorteil bei.
Um in einem veränderten Umfeld erfolgreich bestehen zu können, muss die Prozessindustrie zukünftig die Potentiale digitaler Technologien nutzen. Digitalisierung ermöglicht, bisher getrennte Bereiche in den Entwicklungs-, Produktions- und Lieferabläufen miteinander zu vernetzen. Komplexe Abläufe können damit zukünftig sicherer und effizienter gehandhabt, gesteuert und optimiert werden, so dass unterschiedliche Produkte schneller auf Kundenbedürfnisse angepasst und auf den Markt gebracht werden können.

All dies erfordert den Aufbau neuer Fähigkeiten, Investition in Talente und ein Veränderungsmanagement, welches die gesamte Organisation mitnimmt.[3] Die Prozessindustrie steht vor ähnlichen Veränderungen wie die Metall- und Elektroindustrie, die sich jedoch in einem anderen Modus über einen langen Zeitraum vollziehen werden. Das erfordert andere Gestaltungsansätze und benötigt einen ausgeprägten Forschungs- und Validierungsbedarf.[4] Digitalisierung ist nicht im Alleingang möglich. Sie muss gemeinsam mit allen Beteiligten gestaltet werden, wobei die Wertschöpfungsketten der Supply Chain und des Asset Life Cycles stärker zu vernetzen sind (siehe Abbildung 1). Um die internationale Spitzenposition deutscher Unternehmen der Prozessindustrie auch in Zukunft sicherzustellen, müssen die Unternehmen ihre Prozesse und Geschäftsabläufe digitalisieren und gemeinsam mit der Wissenschaft innovative neue Methoden, Apparate, Anlagen, Sensoren und Automatisierungstechnik sowie Datenkonzepte entwickeln.
Hierfür wäre die Etablierung eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms des BMWi sinnvoll. Das Programm sollte auf eine infrastrukturelle Entwicklung und Befähigung der Partner zielen, insbesondere der vielen KMU. Forschungsprogramme bieten zudem einen vorwettbewerblichen „Schutzraum“ zum rechtssicheren Voranbringen von Standards, der kartellrechtlich nicht angreifbar ist. Bereits gestartete Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten müssen in dem Forschungsprogramm berücksichtigt oder integriert werden.
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Inhalt

  1. Einleitung
  2. Konzept der Digitalisierung in der Prozessindustrie
  3. Begleitung der Digitalisierung der Prozessindustrie und Gestaltung von potentiellen infrastrukturellen F&E-Schwerpunkten
  4. Aktuelle Verbände und Arbeitskreise, die die Digitalisierung der Prozessindustrie gestalten
  5. Wichtige Veranstaltungen zur Gestaltung der Digitalisierung der Prozessindustrie
  6. Referenzen