Bachelorabschlüsse an Universitäten?

Stellungnahme zur Einführung von Bachelor- und Master-Abschlüssen in Verfahrenstechnik/Chemieingenieurwesen

Kurzfassung

Das neue Hochschulrahmengesetz von 1998 ermöglicht die versuchsweise Einführung gestufter Studiengänge mit Bachelor- und Master-Abschlüssen an Fachhochschulen und Universitäten parallel zu den bisherigen Diplomstudiengängen. Von dieser Möglichkeit machen zunehmend mehr Hochschulen Gebrauch. Der GVC-Fachausschuss "Aus- und Fortbildung in der Verfahrenstechnik" möchte sich mit der vorliegenden Stellungnahme an der laufenden Diskussion beteiligen und dabei insbesondere deutlich machen, warum er - abweichend vom VDI* - keinen Bedarf an Verfahrensingenieuren sieht, die mit Bachelor-Abschluß eine Universität verlassen.

* Thesen zur Weiterentwicklung der Ingenieurausbildung in Deutschland, Düsseldorf, Mai 1998

Ausgangsbasis

Das neue Hochschulrahmengesetz von1998 ermöglicht in § 19 die versuchsweise Einführung von gestuften Studiengängen mit Bachelor- und Master-Abschlüssen an Fachhochschulen und Universitäten nach angelsächsischem Vorbild. Es verfolgt damit im wesentlichen folgende Ziele:

  • ausländischen Studenten den Zugang zu deutschen Hochschulen zu erleichtern.
  • deutschen Studenten die Anerkennung ihres Studienabschlusses im Ausland zu erleichtern.
  • die Studienzeiten dadurch zu verkürzen, daß ein berufsqualifizierender (Bachelor-)Abschluß nach sechs bis sieben Semestern angeboten wird.

die Durchlässigkeit zwischen Fachhochschulen und Universitäten zu erhöhen.
Als weiteres, innoffizielles Ziel ist in jüngster Zeit verstärkt zu hören, daß die große Zahl von Studienabbrechern in einzelnen Fachrichtungen dadurch verringert werden kann, indem man Abbrechern mit dem Bachelor-Abschluß einen "Ehrenvollen Abgang" ermöglicht.

Bei der Beurteilung dieser Ziele und bei ihrer Umsetzung muß man sich vor Augen halten, daß das Hochschulrahmengesetz einen Rahmen für alle Studiengänge von den Geisteswissenschaften über die Sozialwissenschaften, die Wirtschaftswissenschaften, die Naturwissenschaften u.a. bis hin zu den Ingenieurwissenschaften schafft. So unterschiedlich die Studieninhalte sind, so unterschiedlich sind aber auch die Anforderungen an die Absolventen, und so unterschiedlich ist der Änderungsbedarf gegenüber dem heutigen Zustand. Was für Germanistik und Soziologie sinnvoll sein mag, muß noch lange nicht für die Ingenieurwissenschaften gelten; was für Bauingenieure auf internationalen Baustellen gelten mag, muß noch lange nicht für Verfahrens- und Chemieingenieure zutreffen. Es ist daher zweckmäßig, zunächst den Istzustand zu beleuchten.

Istzustand in Deutschland

Der Istzustand im Tätigkeitsgebiet von Verfahrensingenieuren in Deutschland ist heute durch das sich ergänzende Nebeneinander von im wesentlichen vier berufsqualifizierenden Stufen der technischen Ausbildung geprägt:

  • Techniker: das Ausbildungsziel wird nach erfolgreichem Abschluß einer Lehre in einem (industrie-)handwerklichen Beruf und einem mindestens zweijährigen Besuch einer Technikerschule (als Abend- und Wochenendausbildung auch länger) erreicht.
  • Dipl.-Ing. (FH): das Studium an einer (praxisorientierten) Fachhochschule (University of Applied Science) setzt Fachhochschulreife (erfolgreiche Lehre und fachgebundene Zusatzqualifikation) oder allgemeine Hochschulreife (Abitur) voraus (Regelstudienzeit incl. Praxissemester: 8 Semester).
  • Dipl.-Ing. (TU): das Studium an einer (wissenschaftsorientierten) Technischen Hochschule/Universität setzt die allgemeine Hochschulreife oder den qualifizierten Abschluß an einer Fachhochschule voraus (Regelstudienzeit: 9 Semester).
  • Dr.-Ing.: Mit der Promotion an einer Technischen Hochschule/Universität wird die Befähigung zu eigenständigem wissenschaftlichem Arbeiten nachgewiesen.

Die in einzelnen Bundesländern anzutreffenden Absolventen von Berufsakademien (Dipl.-Ing.(BA)) können in erster Näherung mit den Absolventen von Fachhochschulen (Dipl-Ing.(FH)) gleichgesetzt werden.

Die Tätigkeitsfelder der vier Qualifikationen reichen von Aufgaben, die die Umsetzung des Standes der Technik beinhalten, bis zu Aufgaben, die eine Weiterentwicklung des Standes der Technik zum Ziel haben. Sie können sich dabei im Einzelfall überlappen; d.h. bestimmte Aufgaben können von (erfahrenen) Technikern oder FH-Ingenieuren ausgeführt werden, an anderer Stelle wird nicht scharf unterschieden, ob ein FH- oder ein TU-Absolvent eingesetzt werden soll; schließlich verschwindet im Lauf des Berufslebens meistens der Qualifikationsunterschied zwischen einem Dipl.-Ing.(TU) und einem promovierten Ingenieur.

Fazit: Deutschland verfügt über ein hinreichend abgestuftes System von berufsqualifizierenden technischen Qualifikationen. Ein Bedarf an zusätzlichen Qualifikationen besteht nicht. Die neuen Abschlüsse können daher nur an die Stelle von vorhandenen treten.

Istzustand im angelsächsischen Ausland

Im Gegensatz zu den parallelen Ausbildungsgängen an spezialisierten Ausbildungsstätten (Technikerschule, Fachhochschule, Universität) in Deutschland kennt das angelsächsische Ausland, dem die neuen Studiengänge mit Bachelor- und Master-Abschluß nachempfunden sind, nur gestufte Ausbildungsgänge an unterschiedlich qualifizierten Hochschulen mit akkreditierten Studiengängen. Einer in der Regel zwölfjährigen Schulzeit folgt ein sechssemestriges Studium an einem College (University) mit Abschluß Bachelor (die Tendenz geht zu einem achtsemestrigen Studium); ein Großteil der Absolventen verläßt damit die Hochschule und erhält seine Berufsqualifikation durch ein mehrjähriges "Training on the Job" in der Industrie. Nur wenige Absolventen belegen vertiefende Master-Kurse (Abschluß nach ca. vier weiteren Semestern: Master) und spezielle PhD-Kurse (Abschluß: Promotion) an einer der höherqualifizierten Hochschulen. Eine dem deutschen Techniker entsprechende Ausbildung kann man in erster Näherung in den Bachelors der weniger qualifizierten Hochschulen sehen; allerdings fehlt hier die praktische Grundlage. In Großbritannien ist der Master-Abschluß neuerdings Voraussetzung für die Führung des Titels "Chartered Engineer"; es ist daher damit zu rechnen, daß der Anteil der Master-Absolventen steigen wird.

Fazit: das angelsächsische System besteht aus gestuften Studiengängen; die notwendige Differenzierung der Qualifikationen erfolgt durch die Wahl (und die Zulassung zu) der entsprechend qualifizierten Hochschule. Die große Mehrzahl der Absolventen verläßt bisher die Hochschule als Bachelor. Die Berufsqualifikation wird in der Industrie erworben.

Keine Bachelors von Universitäten

Aus dem Vergleich des Istzustandes in Deutschland und im angelsächsischen Ausland ergibt sich, daß in Deutschland kein Bedarf an Ingenieuren der Verfahrenstechnik / des Chemieingenieurwesens besteht, die nach einem wissenschaftlichen Kurzstudiengang mit Bachelorabschluß die Universität verlassen und in das Berufsleben eintreten. Das Ziel eines Universitätsstudiums sollte immer ein dem bisherigen Diplom äquivalenter Abschluß, d.h. ein Master-Abschluß sein.

Um die übergeordneten Ziele des Hochschulrahmengesetzes zu erreichen, kann es aber sinnvoll sein, an Universitäten gestufte Studiengänge einzurichten, die über die Bachelorstufe zum Master führen. Dies würde den Einstieg von qualifizierten Bachelors aus dem Ausland und den Übergang von qualifizierten Fachhochschulabsolventen in ein Universitätsstudium erleichtern; auch kann die Bachelorstufe möglicherweise als Ausgangsbasis für einen Master- studiengang in einer anderen Fachrichtung dienen.

Es wird dringend davor abgeraten, den Bachelorabschluß als "Notaustieg" für Studienabbrecher zu diskreditieren.